Naturbasierte Ergotherapie als Weg zu innerem Gleichgewicht

Manchmal, wenn der Kopf schwirrt und das Herz schwer ist, treibt es mich hinaus. In die Wälder, auf die Felder, ans Ufer eines stillen Sees. Dort finde ich etwas, das keine Worte braucht, um zu wirken: die Umarmung der Natur. Ich denke dann oft an die Menschen, mit denen ich arbeite – feinfühlige, sensible und hochsensible Seelen, die von den Anforderungen des Lebens müde geworden sind. Und ich frage mich: Wie können wir gemeinsam in dieser Welt voller Wunden heilen?


Die Antwort liegt für mich in der Natur. Sie ist nicht nur Kulisse, sondern Mitwirkende, nicht nur Raum, sondern Ressource. Und genau hier setzt die naturbasierte Ergotherapie an – ein Ansatz, der die Kraft der Natur mit der Wissenschaft der Heilung verbindet.

 

Was ist naturbasierte Ergotherapie?

Stell dir vor, du gehst mit einer Klientin in den Wald. Die Luft riecht nach Moos und Erde, das Licht bricht durch die Blätter, ein leises Rauschen in den Baumwipfeln. Es ist mehr als ein Spaziergang. Es ist ein gezielter, therapeutischer Einsatz von Natur, um den Menschen wieder in Einklang mit sich selbst und seiner Umwelt zu bringen.



Naturbasierte Ergotherapie ist ein Ansatz, der natürliche Elemente gezielt in die Behandlung integriert. Das kann so einfach sein wie das Berühren von Blättern, das Harken von Laub oder das Streuen von Samen in einer Gartenreihe. Doch der Unterschied liegt in der Intention: Hier geht es nicht darum, dass die Natur „zufällig“ Teil der Therapie ist. Vielmehr wird sie bewusst als Mitgestalterin genutzt.



Warum wirkt die Natur so heilsam?

Vielleicht hast du es selbst gespürt: Die Natur beruhigt. Sie lädt ein, durchzuatmen, langsamer zu werden, präsent zu sein. Studien zeigen, dass Aufenthalte im Freien Stresshormone senken, Angst reduzieren und die Stimmung heben können (Yale, 2020). Doch die Natur geht noch weiter.



Für Menschen, die sich von der Welt überfordert fühlen, bietet sie ein Gleichgewicht aus Stimulation und Ruhe. Ein Garten kann wie ein sanfter Lehrmeister sein – er zeigt Geduld, Flexibilität und das Wunder der kleinen Schritte. In der Natur fällt es leichter, loszulassen und gleichzeitig aktiv zu sein, ohne dass es sich wie Arbeit anfühlt.

 

Wie kann naturbasierte Ergotherapie aussehen?

Naturbasierte Ergotherapie ist so vielfältig wie die Natur selbst. Hier einige Möglichkeiten, wie sie umgesetzt werden kann:

Gartenarbeit: Das Pflanzen und Pflegen eines kleinen Beetes fördert nicht nur motorische Fähigkeiten, sondern stärkt auch das Gefühl, für etwas verantwortlich zu sein – und die Freude, es wachsen zu sehen.

Waldspaziergänge: Das Gehen auf unebenem Terrain stärkt Gleichgewicht und Koordination. Gleichzeitig schärft der Kontakt mit der Umgebung die Sinne.

Achtsamkeitsübungen im Freien: Atemübungen, Yoga oder Tai Chi unter freiem Himmel verbinden Bewegung mit der regenerativen Kraft der Natur.

Sensorische Naturerfahrungen: Barfuß über Gras gehen, mit Sand spielen oder Wasser berühren – all das stimuliert die Sinne und fördert ein Gefühl von Verbundenheit.

Kreatives Arbeiten mit Naturmaterialien: Das Bauen kleiner Skulpturen aus Ästen und Steinen oder das Malen mit Erdfarben kann nicht nur Ausdruck, sondern auch Selbsterkenntnis fördern.


Auch wenn der Zugang zur Natur eingeschränkt ist, können natürliche Elemente in Innenräume gebracht werden: Pflanzen, Steine, Sand oder Wasser sind wertvolle Werkzeuge, die die Natur erlebbar machen.




Weitere Praktische Beispiele

1. Töpfern: Hände im Ton, Verbindung zur Erde

Ton ist ein Produkt der Erde – ein Material, das sowohl flexibel als auch beständig ist. Das Arbeiten mit Ton bietet eine meditative Erfahrung: Die Hände greifen, formen, glätten. Es erfordert Achtsamkeit, Geduld und Feingefühl, was besonders bei sensiblen Menschen beruhigend wirken kann.


2. Tee aus Kräutern: Ein Ritual für die Sinne

Die Zubereitung von Tee aus selbstgesammelten oder angebauten Kräutern ist mehr als ein Akt der Nahrungsaufnahme. Es ist ein achtsamer Prozess: Das Pflücken der Blätter, das Riechen der Aromen, das Beobachten, wie die Kräuter im heißen Wasser tanzen.

Ein solches Teeritual kann individuell gestaltet werden. Einige Klient*innen genießen es, gemeinsam einen Tee zu trinken und dabei zur Ruhe zu kommen. Andere entwickeln ihre eigenen Rituale, die ihnen helfen, Stress abzubauen – sei es durch die Auswahl bestimmter Kräuter oder durch die Art, wie sie den Tee zubereiten und genießen.


3. Das Rasenlabyrinth im Leipziger Volkspark: Schritte zur Klarheit

Das Rasenlabyrinth im Volkspark Leipzig ist ein einzigartiger Ort, um Naturerfahrung und Selbsterkenntnis zu verbinden. Klient*innen können das Labyrinth meditativ durchschreiten, Schritt für Schritt. Der Weg ins Zentrum symbolisiert eine Reise nach innen – die Reflexion über das, was belastet, was losgelassen werden darf. Der Rückweg nach außen kann als Neubeginn gesehen werden, als bewusste Bewegung hin zu Klarheit und Zielorientierung.

Diese Übung bietet nicht nur körperliche Bewegung, sondern auch eine tiefe symbolische und emotionale Erfahrung.


4. Weitere kreative Naturaktivitäten

Gartenarbeit: Neben dem klassischen Pflanzen und Gießen können auch kreative Projekte wie das Gestalten eines kleinen Kräuterbeetes für Tees oder das Anlegen eines Blumengartens neue Impulse setzen.

Der persönliche Platz:

Ein persönlicher Platz in der Natur, den man regelmäßig aufsucht, wird zu einem Anker in wechselnden Zeiten. Ob Frühling, Sommer, Herbst oder Winter – dieser Ort spiegelt die Rhythmen der Natur wider und hilft, auch die eigenen Zyklen von Neubeginn, Fülle, Loslassen und Ruhe bewusster zu erleben.

Solch ein Platz bietet Orientierung, Erdung und einen sicheren Raum, um Gedanken zu klären oder einfach nur zu sein – eine konstante Ressource in einer sich ständig verändernden Welt.

Naturmeditationen: Atemübungen oder Visualisierungen, die an besonderen Orten in der Natur durchgeführt werden, fördern innere Ruhe und die Verbindung mit dem eigenen Körper.


5. Flexibilität für Indoor-Alternativen

Wenn ein direkter Zugang zur Natur nicht möglich ist, können diese Aktivitäten abgewandelt werden:

• Ein kleiner Kräutergarten im Innenraum, der gepflegt wird.

• Ein Teeritual, das mit getrockneten Kräutern und achtsamen Bewegungen durchgeführt wird.

• Töpfern oder Malen mit natürlichen Pigmenten in einem Raum, der mit Pflanzen oder Naturgeräuschen gestaltet ist.


6. Aromatherapie: Düfte als Brücke zu Körper und Seele

Ätherische Öle, gewonnen aus Pflanzen, Blüten und Hölzern, bieten eine subtile, aber kraftvolle Möglichkeit, die Natur in die Therapie zu integrieren. Die gezielte Anwendung von Düften kann beruhigend, anregend oder ausgleichend wirken – je nach Bedarf und Ziel.

Für hochsensible Menschen können diese Düfte wie ein Schutzschild wirken – sie schaffen eine Atmosphäre von Geborgenheit und laden dazu ein, sich innerlich zu öffnen, ohne sich überwältigt zu fühlen. Die Aromatherapie verbindet den Körper mit der Seele und erinnert uns daran, dass Heilung oft über die Sinne beginnt.




Natur als Verbündete für Heilung

Jede dieser Aktivitäten kann an die Bedürfnisse und Fähigkeiten der Klient*innen angepasst werden. Sie bieten nicht nur einen therapeutischen Nutzen, sondern auch die Möglichkeit, tiefer in die eigene Beziehung zur Natur einzutauchen.

 

Das Rasenlabyrinth, die Wärme einer Tontasse, der Duft eines selbstgemachten Tees – sie alle erzählen Geschichten. Geschichten von Erdung, von Transformation, von der Möglichkeit, auch in einer hektischen Welt einen Anker zu finden.

Am Ende ist es nicht nur die Natur, die heilt, sondern die Verbindung, die wir zu ihr aufbauen – eine Verbindung, die uns immer wieder zu uns selbst zurückführt.


Für wen ist naturbasierte Ergotherapie geeignet?

Besonders Menschen, die sich von konventionellen Therapieansätzen entfremdet fühlen, können in der Natur eine neue Art der Heilung erfahren. Die natürliche Umgebung spricht die Sinne an, ohne zu überfordern, und bietet einen geschützten Raum, in dem sich auch tiefere Themen zeigen dürfen.

Für Kinder bietet die Natur einen Ort der Freiheit, des Spiels und des Lernens. Für Erwachsene ist sie ein Ort der Reflexion, der Aktivität und der Regeneration. Und für ältere Menschen kann sie ein Anker sein – ein Ort, der Erinnerungen weckt und neue Möglichkeiten eröffnet.




Die Natur als Wegweiserin

In der naturbasierten Ergotherapie geht es nicht nur um die Frage, was wir tun können. Es geht auch darum, wie wir sind, während wir es tun. Die Natur lehrt uns Geduld, Annahme und die Kraft kleiner Schritte. Sie zeigt uns, dass Wachstum Zeit braucht und dass jede Jahreszeit ihren Wert hat – auch die stillen, dunklen.

Wenn wir unseren Klient*innen diese Erfahrungen zugänglich machen, schenken wir ihnen mehr als einen Therapieansatz. Wir schenken ihnen eine Beziehung – zur Natur, zu sich selbst, zu ihrer eigenen Heilung.



Am Ende, wenn ich mit einer Klientin im Wald stehe, die Hände voller Erde oder das Gesicht im Lichtspiel der Sonne, denke ich oft: Heilung ist keine lineare Reise. Sie ist ein Kreis, der uns immer wieder zur Natur zurückführt. Vielleicht ist das der wichtigste Schritt, den wir als Therapeutinnen tun können – mit unseren Klientinnen hinauszugehen und zu sagen: Schau, da ist ein Platz für dich. Du bist Teil davon.


Über die Autorin


Katharina Krause-Pysarczuk ist Ergotherapeutin und begleitet Menschen zu mehr Ruhe, Selbstfreundschaft und einem achtsamen Umgang mit Hochsensibilität.

Mit kreativen und achtsamen Methoden ermutigt sie feinfühlige Menschen, ihre Sensibilität als Stärke zu erkennen und dem Druck der Leistungsgesellschaft mit innerer Klarheit zu begegnen. Ihre Angebote laden dazu ein, Entspannung und Selbsterkenntnis als festen Bestandteil des Alltags zu verankern.